01_Immer erreichbar für die Arbeit?
„Eine wichtige Frage ist ja: nehme ich mir das Verhalten anderer Personen als Vorbild, auch wenn es für mich vielleicht nicht gut ist?“
Professor Dr. Jan Dettmers spricht die Frage ruhig und gelassen aus, es ist aber zu merken, dass dahinter eine spannende Frage aus der Arbeitspsychologie steckt. Er und die Führungsforscherin Dr. Christiane Stempel sitzen mit mir zusammen in der Mensa der FernUniversität Hagen. Die Sonne strahlt in den hellen Raum, es ist kurz nach der Mittagspause und nur wenige Studierende sitzen noch an den Tischen und sind im Gespräch. Die Bediensteten der Mensa sind damit beschäftigt, nach dem Mittagessen klar Schiff zu machen, damit für den Cafeteriabetrieb alles okay ist. Wir sind hier verabredet, um über eine aktuelle Studie zum Thema Erreichbarkeit von Dettmers, Stempel und Jana Biemelt zu sprechen. Insbesondere interessiert mich, ob eine Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit mit Problemen einhergeht und welche Rolle Führungskräfte hier spielen. Eigene Erfahrungen und Anekdoten sprächen dafür, aber belegen kann ich das nicht.
„Wir haben uns in der Untersuchung genau auf diesen Punkt konzentriert“, sagt Christiane Stempel und fährt fort: „Die Funktion des Rollenvorbildes ist sozusagen eine der Rahmenbedingungen, unter denen der Zusammenhang zwischen erweiterter Erreichbarkeit und Beanspruchungserleben steht. Seit einigen Jahren können wir aufgrund der bisherigen Forschungsergebnisse davon ausgehen, dass es zwar Zusammenhänge zwischen erweiterter Erreichbarkeit und Beanspruchung gibt, diese aber eher gering ausfallen, also im wissenschaftlichen Maßstab gering ausfallen.“
Ich denke an meinen Freundes- und Bekanntenkreis, in dem ich sehr verschiedene Meinungen dazu höre. Die einen sind froh, dass sie mehr Flexibilität haben, um ihre beruflichen Aufgaben zu bearbeiten, andere sagen ganz klar, dass für sie eine deutliche Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit notwendig ist, um gesund zu bleiben. Wieder andere sagen auch schon mal „ich muss da grad mal rangehen“, sprechen dann am Handy mit Arbeitskolleg*innen oder Vorgesetzten, während wir eigentlich im Gespräch oder beim Radeln sind, und äußern sich hinterher frustriert, dass sie immer wieder außerhalb der Arbeitszeit angerufen werden. In der Tat scheint das Phänomen der hohen Verfügbarkeit für den Arbeitgeber sehr unterschiedlich auf Menschen zu wirken.
„Du kannst das ja ganz unterschiedlich wahrnehmen, einerseits als Belastung, für die du eigentlich weder bezahlt wirst noch angestellt bist oder du siehst es als Ressource in einem Job, der dir mehr Freiheit gibt“ wirft Jan Dettmers ein. „Und das bilden auch die bisherigen Forschungsergebnisse ab. Einerseits fanden Arbeitspsycholog*innen Belege dafür, dass entgrenzte Arbeitszeit potentiell gesundheitsbelastend ist, andererseits konnte festgestellt werden, dass die Flexibilität, zum Beispiel im Home-Office, bei manchen Menschen zu einer Wahrnehmung höherer Leistungsfähigkeit führt, da sie den Eindruck haben, dass sich Familie und Beruf so besser vereinbaren lassen, selbst wenn hier die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zu verwischen drohen.“
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Jens Gantzel
Bachelor of Science Psychologie
Coach und Konfliktmanager und Mitarbeiter der EVAO, zuständig für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Leitete früher acht Jahre lang eine Firma an der Schnittstelle Kreativ- und Werbewirtschaft. Musikliebhaber und American Football-Fan.